Gut, stellen wir die Frage anders. Stellt Euch vor, einer aus Eurer Familie hätte einen sehr großen Tumor (verschorft) und könnte sich Euch nicht mitteilen (weder durch sprache, noch Bewegungen, Mimik etc.). Eine OP kommt nicht in Frage. Würdet Ihr diesen Menschen "einschläfern" lassen (weiß nicht wie man das beim Menschen nennt).
Mag etwas markaber sein, diese vorstellung, aber ich sehe im keinen Unterschied zwischen dem "Wert" eines Menschen und dem eines Tieres, desshalb die Frage.
Ich hatte eine ganz ähnliche Situation in der Familie. Der Unterschied zwischen Mensch und Tier ist hier, dass der Mensch um die Endgültigkeit des Todes weiß. Er weiß, welche Auswirkungen der Tod nicht nur auf ihn hat - welcher Gelegenheiten, wieviel Zeit und Lebens er ihn beraubt -, sondern auch auf sein Umfeld. Er weiß, wieviel Leid sein Tod verursachen wird. Ein Tier weiß das nicht. Es lebt im Hier und Jetzt. Eine Maus hat nicht die Fähigkeit, in Begriffen wie "morgen" oder "in zwei Wochen" zu denken.
Genau dieser Unterschied war der Grund, weshalb meine Mutter trotz schwerster Erkrankung ihr Leben nicht loslassen konnte. Mehr als zehn Jahre lang nicht - nicht um ihrer selbst willen, denn sie hätte gerne ihren Frieden gehabt. Besonders während der letzten fünf Jahre. Sie hat sich ums Verplatzen nicht getraut, die Familie im Stich zu lassen. Im Rückblick war das zwar eine unglaubliche Form von Altruismus, aber es hat eine Form von Leid über sie und ihr Umfeld gebracht, das wohl niemand, der es nicht miterlebt hat, erfassen kann. So hart es auch klingt: ich denke, das war der falsche Weg. Der richtige Weg wäre gewesen, zu erkennen, wann die rechte Zeit gekommen ist, und diesen Zeitpunkt in Würde zu akzeptieren.
Ich habe mich seitdem sehr intensiv mit Tod und Sterben beschäftigt - um beides, zumindest ein Stück weit, zu begreifen. Und ich bin zu einer Erkenntnis gelagt: Der Tod ist nicht das Ende aller Dinge. Er ist ebenso ihr Anfang.
Das lässt sich bemerkenswert direkt auf die Natur übertragen, von der unsere Mäuse immernoch ein Teil sind. In der Natur gibt es den Tod, wie wir ihn meist sehen, nicht. Der Tod in der Natur bedeutet nicht das absolute Ende. Er ist kein Stillstand. Er ist der Beginn neuen Lebens. Ein totes Tier wird gefressen oder verwest, es ernährt andere Organismen, die wieder andere... es ist alles ein großer Kreislauf, ohne Anfang, ohne Ende, ohne Stillstand.
Mäuse sind ein Teil davon. Auch in unseren Farbmäusen ist dieses prinzipielle Programm vorhanden. Nur dem Menschen, der in seiner Intelligenz glaubt, sich über die Natur aufgeschwungen zu haben, und sich dabei tatsächlich einen Schritt abseits der Natur gestellt hat, ist es ein Stück weit abhanden gekommen.
Deshalb ist diese Diskussion eigentlich paradox. Sie soll auf Mäuse angewandt werden - und dreht sich eigentlich nur und ausschließlich um den Menschen.
Es geht auch gar nicht darum, den Tod herbeizuführen. Ein Leben endet, so oder so. Die Euthanasie von Tieren, wie auch ein gerechtfertigter Freitod eines Menschen in einer entsprechenden Situation, dienen
nicht dazu, den Tod zu bringen. Sie dienen dazu, den eigentlichen Schrecken des Todes, das
Sterben, abzukürzen, oder besser noch, zu vermeiden. Für einen geliebten Menschen sind die Möglichkeiten zu dieser ultimativen Hilfe hierzulande sehr eingeschränkt. Einem geliebten Tier darf man diesen letzten Dienst jedoch erweisen - deshalb ist es für mich nicht nur ein Recht, sondern eine moralische Verpflichtung, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Die Entscheidung, wann der richtige Moment gekommen ist, muss der Mensch fällen - das ist die Bürde, die mit dieser Pflicht einher geht, und die der Mensch, ob Halter oder Tierarzt, zu tragen hat. Das ist der Preis für die Freiheit, Haustiere zu halten.