An dieser Stelle will ich versuchen, die Diskussion etwas ins Grundsätzliche zu verschieben. Möglicherweise wir dann auch nachvollziehbarer, wie ich in diese Situation gekommen bin. Manches könnte man vielleicht tatsächlich anders gestalten, als es in er Regel gehandhabt wird, aber gleichzeitig hoffentlich besser, als ich es momentan tue.
Bei einer meiner ersten Besuche im Forum bin ich auf den Satz einer erfahrenen Userin gestoßen, der mir seitdem nie wieder aus dem Kopf gegangen ist. Leider kann ich mich nicht mehr erinnern, wer diesen Satz hier niedergeschrieben hat.
"Es ist unmöglich Farbmäuse artgerecht zu halten"
Die logische Weiterführung dieses Gedanken war dann, daß Mäusehaltung dem einzigen Zweck dienen sollte, die unzähligen Mäuse aus schlechter Haltung in eine freundlichere, mausgerechtere Umgebung zu "retten". Gäbe es keine "unglücklichen" Notfallmäuse mehr, dann habe sich damit die Notwendigkeit der Mausehaltung erübrigt. Das ist sehr konsequent gedacht und inhaltlich vollkommen logisch und nachvollziehbar.
Trotzdem kann ich diese Haltung nicht teilen. Ich liebe Mäuse und ich habe sie gerne um mich. Ich halte Mäuse, weil ich sie so gern habe, weil ich sie faszinierend finde, überraschend, und weil sie mein Leben bereichern.
Aber selbstverständlich konnte ich meine Mäuse nie "fragen", ob auch sie bei mir leben wollen. Meine Mäuse hatten ja keine Wahl.
Dann habe ich mich durch den Käfig-Thread gezappt und wurde immer nachdenklicher. Bei aller Liebe, mit der manche Gehege eingerichtet sind, konnte ich mich bei manchen Gestaltungsvarianten doch des Gefühls nicht recht erwehren, das diese ein wenig wie Puppenstuben eingerichtet sind. Es ist durchaus denkbar, daß dies nur mich gestört hat und es den Mäusen im Grunde vollkommen gleichgültig ist, ob sie in einem gekauften Häuschen oder unter einer Rinde aus dem Wald hocken, solange nur genügend Abwechslung und Platz damit verbunden ist.
Aber damals begann ich immer intensiver darüber nachzudenken, in welchen Situationen und in welcher Umgebung sich meine Mäuse offenbar wohl fühlen und was sie brauchen könnten, um ein größtmögliches Maß an mausentsprechendem "Glück" und Wohlbefinden bei mir zu finden.
Wenn ich das "Wesen Maus" in wenigen Worten beschreiben sollte, dann würden mir die beiden Begriffe Angst und Neugier einfallen. Nach meinem Empfinden charakterisiert das am genauesten, was Mäuse ausmacht. (Neben ihrer Schnelligkeit und diesem tiefen Bedürfnis nach der Nähe ihrer Artgenossen selbstverständlich.)
Ich habe noch nie ein Lebewesen erlebt, das dermaßen viel und heftige Angst zu empfinden scheint. Gerade deshalb erlebe ich diese Mäuse als ungeheuer mutig, wie sie sich täglich, manchmal sekündlich zwischen diesen beiden Extremen in ihrem Leben bewegen und zurecht finden. Diese kleinen Säugetiere nötigen mir einen ganz erheblichen Respekt ab.
Als Gegenpol gegen diese Angst suchen die Mäuse offenbar Sicherheit. Die Sicherheit in der Gemeinschaft mit Artgenossen, aber auch die Sicherheit ihres Verstecks und anderer geschützter, nicht einsehbarer Räume. Meine Mäuse fressen nicht gern auf einsehbaren Flächen. Sie huschen lieber an Wänden entlang oder noch besser unter sichtgeschützen Deckungen herum.
Aus diesem Gefühl der Sicherheit heraus aber sind Mäuse ungeheuer neugierig und in ihrer Neugier und Entdeckerfreude sagenhaft genau. Wann immer etwas Neues im Gehege auftaucht, wird es vielfach inspiziert, erklettert, erschnüffelt, angenagt, es wird drunter und drüber hinweg gelaufen und das Neue dann in den bestehenden Bewegungsraum integriert. Immer wieder trauen sich sich an die Grenze des Vertrauten, um ihren Raum und ihre Möglichkeiten im Wortsinne in kleinsten Schritten zu erweitern.
Es kommt mir manchmal so vor als lebten sie geradezu in einem Spannungsfeld zwischen der Angst vor Neuem und gleichzeitig einer ungeheuren Sehnsucht danach.
Dem Schutzbedürfnis und ihrer natürlichen Angst habe ich versucht zu entsprechen, indem ich mich bemüht habe sichere, ungestörte Verstecke einzurichten. Einen Eichenstamm als Schlafhöhle, einen Steinhaufen mit einem darin verborgenem Hohlraum, aber auch vielen Ausgängen, die nach Belieben eröffnet oder abgedichtet werden können. Überall liegen Rinden, unter denen sich die Mäuse ungesehen durch das Gehege bewegen können. Diese Räume sind nun so sicher, daß die Mäuse darin für mich absolut unzugänglich geworden sind. Es ist unmöglich, sie da heraus zu holen. Es sei denn, sie kommen freiwillig.
An dieser Stelle haben meine Bemühungen zum ersten Mal zu einem Problem geführt: Es ist mir absolut unmöglich geworden, eine Maus zum TA zu bringen, wenn sie nicht irgendwie von selbst auftaucht. Ich kann lediglich vor der Kiste sitzen und darauf warten, bis die Maus zu erscheinen gedenkt. In ihrem Bereich habe ich keinen Zugriff auf die Mäuse. Das gleiche gilt für den möglichen Tod der Mäuse. Zwei Mal habe ich jeweils nach drei, bzw. 4 Wochen mumifizierte Mäuse gefunden. Und ja, sie waren angefressen.
Bereits hier könnte man in die Diskussion einsteigen, ob durch diesen Sachverhalt nicht das Wohl der Mäuse gefährdet ist.
Gleiches gilt für den Freilauf auf das äußere Fensterbrett. Nichts gewährleistet, daß die Mäuse von dort nicht abstürzen. Das Fensterbrett befindet sich im zweiten Stock. Falls die Mäuse herunter fallen sollten und das wider Erwarten überleben, dann hätten sie wohl wenig Chancen, ohne vertraute Fluchtwege und Versteckmöglichkeiten, den herum streunenden Bauernhofkatzen zu entgehen. Selbst eine Elster habe ich schon einmal auf dem Fensterbrett gesichtet.
Zwar habe ich getan, was ich konnte, um das Brett seitlich mit Begrenzungen abzusichern und überall Versteckmöglichkeiten zu schaffen. Aber eine Garantie, daß eine Maus sich nicht einmal zu weit über die Brüstung wagt und dann abstürzt - die gibt es nicht.
Warum lasse ich das dann überhaupt zu?
Die erste Maus, die den Zugang zum äußeren Fensterbrett entdeckt hatte, war ausgerechnet mein chronisch krankes Kasträtchen Fehfu, der überhaupt nur noch lebte, weil er zwei mal täglich mit Lasix und abends zusätzlich mit Cortison versorgt worden war. Als er das erste Mal auf das Fensterbrett gelangte, war es Winter und ich hatte morgens beim Schließen des Fensters nicht bemerkt, daß ich die Maus praktisch ausgesperrt hatte. Erst als er abends nicht zur gewohnten Zeit erschien, überfiel mich siedendheiß der Gedanke, die Maus könnte draußen auf dem Fensterbrett sein. Fehfu war 12 Stunden lang dort draußen gesessen. Damals gab es noch keinen Unterschlupf und keine Versteckmöglichkeiten. Ich war überzeugt davon, er würde das in der Folge nicht überleben.
Stattdessen wollte er nun jeden Abend für ca 1-2 Stunden nach draußen. Zunächst habe ich alles getan, damit er nicht wieder auf die Außenanlage gelangen konnte. Aber Fehfu blieb beharrlich und ist mir immer wieder "entwischt", wenn das Fenster zum Lüften offen stand. Ich kann es nicht anders sagen: Die Maus war glücklich danach. Sie hüpfte in der Kiste herum, wirkte lebendiger als sonst und irgendwie auch von sich selbst überzeugt.
Bis auf eine ältere Maus sind nun fast alle meine Mäuse regelmäßig abends draußen auf der Außenanlage. Auch bei Regen und niedrigen Temperaturen. Vielleicht spüren sie den Abendwind, oder die Kühle der Nacht. Vielleicht riechen sie den Duft von frisch gewaschenen Blättern nach einem Regen oder hören etwas, was meinen Ohren verborgen bleibt. Alle Mäuse lieben es, dort draußen zu sein.
Nachdem sie jeden Abend ihre Leckerli bei mir abgeholt haben, sind die Mäuse - weg. Draußen. Ganz gleich ob es kühl ist, oder ob die Rinden durch einen nieder gegangenen Regen vor Feuchtigkeit glänzen. Zwei von 10 Mäusen hatten zwischenzeitlich einen Atemwegsinfekt und brauchten Antibiotika. Von den anderen, die nicht nach draußen können, hatte 4 von 6 Probleme mit den Atemwegen. Ganz eindeutig haben die Mäuse, die auf die Außenanlage können, inzwischen ein dichteres Fell ausgebildet.
Ich habe schon Überlegungen angestellt, ob die Temperaturempfindichkeit der Farbmäuse nicht vielleicht die Folge des Lebens in immer gleich klimatisierten Räumen sein könnte. Aber natürlich reichen meine Beobachtungen nicht aus, um diese Frage zu beantworten.
Mit alledem setze ich meine Mäuse Risiken aus, die von anderen als unnötige Gefährdung empfunden werden könnten und ich kann dem auch wenig entgegen setzen. (Den Freilauf in der Küche möchte ich dabei ausschließen, das ist wirklich keine gute Situation, das will ich mit dem Gesagten in keiner Weise rechtfertigen).
Aber an dieser Stelle möchte ich mich dem Gedanken anschließen, den Punkratz in die Diskussion geworfen hat:
Ob man dem Bestreben nach größtmöglicher Sicherheit für die sich in unserer Obhut befindlichen Mäuse nicht einen möglichen Zuwachs an Lebensqualität entgegen halten darf, der in bestimmten Situationen eine Einschränkung dieser größtmöglichen Sicherheit rechtfertigen kann.
Liebe Grüße an alle
Fufu