Freigeister
Schon bei der Vergesellschaftung der großen Mäusegruppe fiel auf, daß sich einige Mäuse anders verhielten als der Rest der Gruppe.
Am auffallendsten war Saga. Innerhalb kürzester Zeit hatte diese kleinste aller Mäuse heraus, wie sie auf den Rand des Aquariums gelangen konnte. Sie sprang. So lange, bis ihre kleinen Pfötchen endlich den Rand des Glases zu fassen bekamen und sie sich daran hoch ziehen konnte. Das Aquarium war über 30 cm hoch.
Natürlich wurde sie umgehend wieder abgepflückt und zur Gruppe zurück gesetzt. Doch kaum hatte ich sie los gelassen, begann sie erneut in die Höhe zu springen. Vielleicht jeder 40 Sprung war erfolgreich. Die Maus sprang bis zur Erschöpfung unentwegt in die Höhe.
Sowie ich den Arm im Aquarium hatte, kletterte sie wie ein winziges Eichhörnchen an meinem Arm entlang und versteckte sich unter dem Pullover. Den hat sie dann ausgiebig erkundet, ehe ich sie wieder in ihr Gefängnis zurückbrachte. Minuten später fing sie wieder an zu springen. Man muß dazu sagen, daß die Maus vorher nur in Käfigen gelebt hatte und keinerlei Erfahrungen mit einer "weiteren Umwelt" machen konnte.
Das war also keine Lösung. Schließlich entschied ich mich dafür, das Aquarium oben mit Volierendraht abzudichten und mit Kletterästen dem Bewegungsdrang des Mäuschens einen Ausgleich zu schaffen, in der Hoffnung damit der kräftezehrenden Springerei ein Ende zu bereiten.
Aber die Maus wollte keine "Bewegung". Die Maus wollte nur eins: Raus.
In der folgenden Zeit verlegte sie ihre Ausbruchsversuche an den Ort des Volierendrahtes. Stundenlang kletterte sie hektisch von unten am Gitter entlang, nur kurzzeitig unterbrochen von halbherzigen Versuchen dieses durch zu nagen. Das Ganze verursachte einen erheblichen Lärm, der nie zu enden schien. Das Maximum der beobachteten Über-Kopf-Kletterei war 4 Stunden mit nur kurzzeitigen Unterbrechungen von wenigen Minuten.
Inzwischen konnte ich die Maus auch nicht mehr an mir hoch klettern lassen, da sie mit unglaublicher Geschwindigkeit sofort den Abstieg antrat und immer nur im letzten Moment vor Erreichen des Bodens wieder eingefangen werden konnte.
Sie fraß nur nebenbei und zeigte kaum soziale Kontakte zu anderen Mäusen. Schließlich schien sie auch nicht mehr zu wachsen: Ihre Schwestern nahmen an Gewicht zu, die kleine Saga blieb schmächtig und klein.
Immer mehr bekam ich den Eindruck von Tierquälerei. Nach 4 Wochen gab ich auf und habe sie entkommen lassen. Von da an war die Maus wie verändert. Lebendig, aber ruhig und immer kehrte sie von selbst wieder zu den anderen zurück.
Zwei andere Mäuse zeigten ein ähnliches Verhalten, wenn auch in einem etwas geringeren Ausmaß: Ariachne und Ashima. Auch Ariachne war irgendwann "weg" und verließ das Aquarium, wann sie wollte. Ashima ist nicht ganz so geschickt. Sie "verschwand" erst, als die Mäuse in die große Kiste umsiedelten.
Der nächste dieser Sorte ist das Weißschwanz-Kasträtchen. Nur ist er es, der stundenlang am Gitter nagt und von diesem unbändigen Freiheitswillen beseelt zu sein scheint. Bis auf Saga sind alle Mäuse, die dieses Verhalten zeigen Agouti.
Bei dem Aquarium wurde eine Breitseite, der besseren Belüftung wegen, durch ein Holzbrett ersetzt, in dessen Mitte ein großer Kreis ausgespart ist, der mit Volierendraht verschlossen wurde.
Mehrfach wurde hier in diesem Thread die Idee geäußert, eine Art Brüstung an den Kisten anzubringen, wodurch im Mäusehirn der Eindruck von "grenzenloser Tiefe" erzeugt werden soll. Ehe ich diesen Plan umsetze, habe ich mich zu einem "Testlauf" entschieden und für das Aqua eine Art Ballustrade anfertigen lassen, um zu sehen, ob die Mäuse dadurch vom Sprung ins Ungewisse abgehalten werden können.
Momentan wird eifrig im Kreis gelaufen und alle 10 cm die Tiefe ausgelotet. Hauptsächlich laufen Ashima und das Weißschwänzchen. Gesprungen ist noch keiner, aber - ehrlich gesagt - ich bin mir nicht sicher, ob das funktioniert.
Aquarium mit Ballustrade
Ashima betritt die Bühne ...
Weißschwänzchen-Agouti folgt und testet die Absprungtiefe ...
Ashima am Abgrund ...
Ashima blickt in den Abgrund ...
... ein Nüßchen auf dem Weg ...
... und weiter tippeln, tippeln, gucken, tippeln ...
Morgen wissen wir mehr.